2015•100 - T E X T:
Dr. Anton Führer den 14. Mai 16.
Gymnasialdirektor
Rheine i. W.
Verehrter Herr Kollege !
Herzlichen Dank für Ihren schönen, inhaltsreichen Brief. Ich nahm ihn mit in den Verein, wo
er ebenfalls mit großem Interesse mehrfach gelesen wurde, und morgen will ich ihn dem
Lehrerkollegium geben, ebenso die Zeitung, die sehr lesenswert ist. Leider habe ich nichts
darin gefunden was auf eine nahende Selbsterkenntnis der Franzosen hinwiese, und so
kann ich die Hoffnung auf baldigen Frieden nicht teilen, zumal da die Franzosen allzu fest
in den Ketten der Engländer liegen. Den Wunsch nach Frieden teile ich natürlich mit aller
Welt, aber doch nur nach einem solchen Frieden, der unseren gewaltigen Opfern an Gut
und Blut entspricht, und bis sich unsere Feinde dazu besinnen, müssen wir durchhalten und
dürfen nicht nachgeben. Das Schlimmste für uns wäre ein vorzeitiger fauler Friede. Hoffentlich
bewahrt uns unser Schwert und unsere Standhaftigkeit davor. Ich vertraue darauf,
daß uns der bevorstehende Sommer militärisch weiter bringt und daß wir wirtschaftlich
die schlimmsten Zeiten überwunden haben. Augenblicklich müssen wir uns freilich manche
Entbehrungen auflegen und große Opfer bringen. Vielleicht merken Sie es auch im Gefangenenlager,
daß die Lebensmittel knapp sind. -
Hier sind wir wieder in voller Tätigkeit. Das vorige Schuljahr habe ich schlecht beschlossen;
acht Tage vor Schluß bekam ich am Fuß eine Zellgewebeentzündung, die nicht ungefährlich
war und mich an den Sessel fesselte. So habe ich über 5 Wochen verbringen müssen, unfähig
mich zu bewegen, zu einer Zeit, wo ich viele Arbeit hatte, eine Geduldsprobe, schwer zu tragen.
Auch bei Beginn des neuen Schuljahres mußte ich noch zu Hause sitzen. Aber mit Hilfe
meiner Töchter und guter Freunde habe ich die ganze Zeit über die wichtigsten Geschäfte
erledigen können. Unsere Klassen sind wieder voll, besonders die unteren, so daß VI u. IV
vollständig geteilt werden mußten, aber im Juni werden sich die oberen Klassen durch die
Notprüfungen usw. wieder zu leeren beginnen.
Unser Koll. Lübbers wurde der Oberrealsch. in Herne überwiesen, für ihn bekamen wir einen
Kandidaten Dr. Koch. Kand. Dr. Donner, der 9 Monate in Eisenach im Lazarett lag, ist jetzt
dem hies. Lazarett überwiesen und wird, obwohl er nur langsam am Stock gehen kann, im
Laufe der Woche bei uns wieder seine Tätigkeit beginnen, eine willkommene Hilfe. Meinen
Söhnen geht es gut. Vom ältesten haben wir aus der russ. Gefangenschaft [Tscheljabinsk,
Gouv. Orenburg] befriedigende Nachrichten. Er lernt eifrig Russisch. Unser jüngster hat sich
zu den Fliegern gemeldet u. macht z.Z. eine Probezeit bei einer Fliegerabteilung durch. Er ist
außerordentlich begeistert davon. Aus unserem Städtchen kann ich Ihnen nichts Besonderes
mitteilen.
Hoffentlich haben Sie von Ihren Angehörigen gute Nachrichten.
Mit herzlichem Gruß
Ihr ergebenster
Dr. Führer
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