2015•101 - T E X T:
Hermann Rosenstengel ging im Frühjahr
1916 davon aus, dass er wegen seiner
gesundheitlichen Probleme bald aus
dem Militärdienst ausscheiden und von
seinem Schulleiter „reklamiert“ würde.
„Daß ich mich auf die Schule so unbändig
freue, kann ich nicht sagen ...“ Er äußerte
die Vorstellung, dass er sich „vielleicht
als Kulturdünger irgendwie nach dem
Nahen Osten für ein Jahr oder so exportieren“
lasse. Erschließen lässt sich, dass
er damit eine Abordnung in das von den
Deutschen besetzte Polen meinte (s.u.).
Dr. Anton Führer den 10. Juni 16.
Gymnasialdirektor, Rheine i. W.
Sehr geehrter Herr Kollege !
Für heute hatte ich mir vorgenommen, Ihnen auf Ihren freundl. Brief v. 27. Mai zu antworten,
und nun überrascht mich soeben Ihr Pfingstgruß aus Ihrer Heimatstadt. Herzlichen
Dank dafür. Auch Ihnen und den Ihrigen wünsche ich ein recht glückseliges Pfingstfest, das
gewiß bei Muttern [in Warendorf] sich lieblicher verlebt als im Gefangenenlager. Vielleicht
finden Sie von dort aus auch den Weg hierhin in Ihre 2. Heimat für einen kurzen Besuch.
Freilich ists hier sehr still geworden, wie es die Ferienzeit so mit sich bringt. Sonst pflegte ich
in dieser Zeit den Reisekittel anzuziehen, und auch voriges Jahr nutzte ich die Pfingstferien
zu einem kleinen Erholungsaufenthalt am Rhein; aber in diesem Jahr bleibt man am besten
zu Hause, wo man doch noch einigermaßen satt werden kann.
Auch haben wir diesmal zu Pfingsten lieben Besuch bekommen; meine 2. Tochter, die kürzlich
in Kreuznach ihr Examen als Rote-Kreuzschwester gemacht hat, ist für kurze Zeit auf
Urlaub gekommen und bringt wieder etwas Leben ins Haus. Von meinen Söhnen habe wir
Gottdank gute Nachrichten, und auch im Kollegium ist alles wohl und munter. Leider hat
Koll. Volbert vor einigen Tagen seinen 2. Bruder vor Verdun verloren, recht hart für seine
Eltern, und vielleicht wird er in kurzer Frist selbst eingezogen werden. Seine Einberufung
schwebt schon seit geraumer Zeit in der Luft, und da erhebt sich für mich die schwierige
Frage des Ersatzes. Sie brauchen sich nicht zu wundern, daß ich sofort an Sie gedacht habe,
und recht gelegen kam mir die Mitteilung, daß Sie wieder garnisonsfähig geschrieben sind.
Sofort setzte ich alle Hebel in Bewegung, Ihre Entlassung im Inter[esse] unseres Gymn. zu
erwirken, reiste selbst nach Coesfeld zum Bezirkskommando, berichtete ans PreSchkoll. und
sehe mit Spannung dem Erfolge meiner Bemühungen entgegen, aber diesmal mit der Hoffnung,
daß es gelingt. Wir haben Sie hier nötig u. dort im Gefangenlager sind Sie leichter zu
ersetzen. Damit erledigt sich auch die Frage, wie ich über Ihre Neigung, nach dem Osten
zu wandern, denke. Für die Kriegszeit muß ich Sie hier mit Beschlag belegen, und wenn
Sie wirklich Sehnsucht haben, als Kulturdünger im Osten zu dienen, dann können Sie diese
vielleicht im Frieden befriedigen, wenn im Osten Gymnasialdirektoren nötig sind. Als erster
Westfale sind Sie für die Polenmission recht geeignet.
Seit 22. Mai haben wir auch den Kand. Dr. Donner wieder hier. Er ist von Eisenach, wo er
9 Monate gelegen, dem hiesigen Lazarett auf meine Veranlassung überwiesen worden und
obwohl er noch auf 2 Krücken geht, ist er doch imstande, 21 Stunden […] bei uns zu erteilen,
ihm selbst zur Freude, uns zu Nutz.
Nochmals die besten Wünsche zum Pfingstfeste u. herzliche Grüße
Ihr ergebenster
Führer
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