2011•104 - T E X T:
Rezension von Herbert Huesmann
Nach ihren Bildbänden über Rheine (2008) und Münster (2009) haben Hermann Willers und Werner Friedrich (Abiturient des Dionysianums vom Jahrgang 1970, Lehrer am Dionysianum seit dem Schuljahr 1978/79) pünktlich zur Leipziger Buchmesse im März 2011 mit Berlin ein neues Werk vorgelegt, das seinesgleichen sucht. Nicht nur aufgrund seines Formats (28,5 cm x 24,5 cm), seines Umfangs (320 S.) und seines Gewichts (ca 2 kg) eignet sich das Buch nicht als Stadtführer für all jene, die an einem verlängerten Wochenende zu einem Berlinbesuch aufbrechen wollen und schnelle Orientierungshilfen, praktische Hinweise und Empfehlungen für eine sightseeing tour benötigen. Mit ihren Fotografien und Texten verfolgen die Autoren ein ungleich ehrgeizigeres Ziel: Sie scheinen auf der Suche nach dem, was man das Wesen der Stadt nennen könnte.
Das Berlin-Buch von H. Willers und W. Friedrich ist in seiner äußeren Struktur chronologisch angelegt. Es spannt einen weiten Bogen von der Zeit des Großen Kurfürsten bis in die Gegenwart, d. h. von der Anlage der Prachtstraße Unter den Linden bis auf die Geschichte und brisante Gegenwart des Schmelztiegels Neukölln. In seiner inneren Struktur besticht der mit großer Sorgfalt edierte Band durch eine überaus enge Symbiose zwischen Bildern und Texten. Der den Leser / Betrachter auf den ersten Blick überraschende, wenn nicht gar irritierende gänzliche Verzicht auf Bildunterschriften erweist sich nämlich als großer Vorteil, sobald man erfahren hat, dass jedes Kapitel zu einer ganzheitlichen, Verstand und Sinne gleichermaßen ansprechenden Wahrnehmung der vorgestellten Objekte und Themen einlädt. Dies ist einerseits den Fotografien von H. Willers zu verdanken. Wie schon in seinen Studien über Rheine und Münster präsentiert er neben der – oft aus zuvor eher vernachlässigten Winkeln aufgenommenen – Totale zahlreiche nicht selten in ein großes Format gestellte Details und eröffnet dem Betrachter, wie Ulrich Eckhardt (Abiturient des Dionysianums vom Jahrgang 1953 und langjähriger Festspielintendant in Berlin) in seinem tiefgründigen Vorwort anmerkt, „…freie Sicht ohne die üblichen Schablonen“. Und tatsächlich fühlt sich der Betrachter herausgefordert, „…alle Schönheiten, Absurditäten und Abgründiges in der Stadt aufzuspüren“. Gleichermaßen faszinieren und fesseln die Texte von Werner Friedrich den an der Stadt interessierten Leser. Es gelingt dem Autor geradezu unmöglich Scheinendes, indem er die Bildobjekte jeweils auf einer Buchseite in einer sich durch kristalline Klarheit und stilistische Brillanz auszeichnenden Sprache so in ihren zeit-, geistes- und kunstgeschichtlichen Kontext einordnet, dass der Blick des Betrachters nicht im Oberflächlichen haften bleibt, sondern zu tieferen Bedeutungsschichten vordringt. Exemplarisch sei auf die Betrachtung über den Koppenplatz und Karl Biedermanns Installation „Der verlassene Raum“ verwiesen, die, wie der Autor erklärt, „…die Störung menschlicher Kommunikation“ ins Bild setzt, aber über die „verstörende Alltäglichkeit“ hinausweist auf den Zivilisationsbruch des Holocaust, der in der einst in der Zeit des Großen Kurfürsten für Juden und Hugenotten offenen Stadt die freie Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Rassen einem Geist der Barbarei opferte. Zu jenen, die die Stadt verlassen mussten,
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