2011•107 - T E X T:
intensiver prüft, wird eine Profilierung sichtbar. Diese Profilierung zu erkennen, setzt die bewusste Einsicht in die Vermittlung zwischen Lebenswelt und Wissenschaft voraus, und darin liegt ein Kernanliegen der Praktischen Philosophie, die man nicht auf die Schule und schon gar nicht auf die Sek. I beschränken darf. Die Geschichte bietet ein unübertreffliches Beispiel für Lebensformen, dafür, wie die Menschen insgeheim und öffentlich gelebt haben. Moderne Geschichtsphilosophie ist vor allem bei großen Denkern der Aufklärung als Teil ihrer allgemeinen Philosophie hervorgetreten. Deshalb macht es Sinn, den Leitphilosophien von Kant und Hegel zu folgen in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe Leitlinien unseres Realitätsbewusstseins zu finden.
Es kommt hinzu, dass in den Philosophien von Kant und Hegel grundlegende Erkenntnisse von Heraklit, Sokrates, Aristoteles und Cicero aufgenommen sind, denen die Praktische Philosophie in besonderer Weise verpflichtet ist, da sie sich dem Handeln und Leben in pointierter Weise zuwandten, und zwar durch eine in hohem Maße überzeugende weil reflektierte Terminologie.
Während in der Lebenswelt bisweilen – sogar noch nach den Kontaminationen von Tschernobyl und Fukushima – der Ruf ertönt: „The show must go on“, auf dem Spielplatz der Wissenschaft ein Hinweisschild zur Wissenssoziologie zeigt, fordern Kant und Hegel dazu auf, Teile der Welt nicht nur anzusehen, sondern auch zu beurteilen (Kant: Urteilskraft) und die Anstrengung des Begreifens (Hegel) im Dialog mit sich selbst und den Anderen auf sich zu nehmen, Begriffe zu klären. Das ist nicht leicht, aber nur der Mensch verfügt über die Fähigkeit, mit hoher Differenzierung zu begreifen, zu beurteilen und moralisch zu werten, nach dem Abwägen ja oder nein zu sagen, argumentativ konsensfähig zu sein. Hinterfragen wir die Begriffe ja und nein, kommen wir auf die Spur einer Vielzahl von Begründungsnuancierungen mit z. T. tief angelegten Wurzeln.
Ein Zauberwort für die bejahende, therapeutische Entschlüsselung dieser Vielzahl von Begründungsnuancierungen ist der Begriff Affirmation. Er deutet zunächst auf Bejahung, Bestätigung, Zuspruch, auf eine Stärkung des Menschen in seiner Entwicklung, im Wettbewerb mit Anderen, in der Konkurrenz der freien Marktwirtschaft. Bei genauer Analyse kann sich ergeben, dass die Affirmation – wie die Freundschaft – auf einer dauernden humanen Grundhaltung des Wohlwollens basiert. Noch komplexer wird der Begriff im Bereich der Philosophie:
Hegel verwendet den Begriff Affirmation expressis verbis, insbesondere in der Verbindung mit einer „Negation“, d. h. für ihn war die Überwindung von Widersprüchen, von Negierungen ein unumgängliches Entwicklungselement im Leben der Menschen; in ähnlicher Weise spricht Kant von a priori (von vornherein) im Menschen angelegten „Widerstreiten“, die sich in der Vernunft, im ganzen Menschen, in der Gesellschaft, in der Staatengemeinschaft immer wieder bemerkbar machen und selbst den Gang der Geschichte prägen.
Welche Überlegungen folgen daraus?
Eine Philosophie, die das Adjektiv praktisch für sich in Anspruch nimmt, ohne
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