2015•107 - T E X T:
Nach wenigen Wochen scheiterte die
deutsche Frühjahrsoffensive 1918 endgültig.
Rosenstengel war auf eigenen
Wunsch vom Dienst im Großen Hauptquartier
an die Front versetzt worden
und wurde zunächst als Beobachter in
einem Fesselballon, nach dessen Zerstörung
am Boden eingesetzt und erlebte
die Auflösung der deutschen Armee hautnah:
„Am 27.9. kam der lange erwartete
feindliche Angriff in der Champagne…
[Die Hauptaufgabe bestand bald darin,]
den Schwarm der zurückflutenden, zumeist
total benommenen jungen Leute
[zu lenken], die nach ihrer Mama riefen
und weinten. Es war zum Heulen.“
Ein letztes Mal schrieb nun Dr. Anton
Führer an seinen Kollegen:
Rheine, den 27. Sept. 1918
Lieber Herr Kollege !
Sie haben allen Grund, mit mir unzufrieden zu sein, weil ich Ihnen nicht längst einige Zeilen
geschrieben habe, und es liegt mir fern, mich entschuldigen zu wollen. Ich kann nicht
mehr alles, was ich will. Aber ich danke Ihnen für die Übersendung Ihres schönen Büchleins,
Ihren lieben Brief und auch für Ihren freundlichen Besuch, der noch in die Zeit meiner Abwesenheit
fiel. Ich war in den Ferien zunächst in meiner Vaterstadt Limburg a. Lahn, wo
mir anfangs meine Töchter und nachher meine Frau Gesellschaft leisteten und wo ich in
Erinnerung an meine Jugendzeit Ruhe und Erholung suchte. Es ging uns dort wie überall
und immer im Leben; als wir uns schön eingelebt hatten, mußten wir wieder fort. Die letzte
Zeit der Ferien verbrachte ich im benachbarten Borghorst in stiller Zurückgezogenheit u. bei
guter Verpflegung. Jetzt sind wir schon seit Wochen wieder im herkömmlichen Schulbetrieb,
mit allen Schwierigkeiten der Kriegszeit. Oberl.[ehrer] Backhaus u. H. Peters werden mit
ihren Jungmannen (?) erst Anfang Oktober zurückerwartet. Dr. Hertkins ist während der Ferien
an einem schweren Blasenleiden erkrankt und anscheinend für längere Zeit dienstunbrauchbar.
Zum Glück erhielt ich einen jungen Schweizer Philologen aus Basel, der diese
Vertretung übernehmen konnte. Aber über diese Verhältnisse in unserem Schulbetriebe sind
Sie wahrscheinlich durch andere bereits unterrichtet.
Ihr Büchlein habe ich sogleich nach Empfang durchgelesen und zwar mit großer Befriedigung.
Ich habe erst jetzt von solchen Spielen einen wahren Begriff bekommen u. insofern
war mir das Büchlein sehr hilfreich, Besonders hat mir die Art der gestellten Aufgaben gefallen;
hier sieht man immer, wie die Spiele nicht nur kindliches Spiel sind, sondern durchaus
praktische Bedeutung haben. Ein guter Humor, Freude an der Jugend, Verständnis für ihre
Art zeigt sich überall. Über den rein fachlichen Inhalt kann ich nicht urteilen. Bei dem Ganzen
aber habe ich ein großes Bedenken. Wenn wir demnächst den Völkerbund bekommen,
dann herrscht auf der ganzen Welt Ruhe und Frieden; Kampf und Streit hören auf, u. wir
brauchen die Jugend nicht mehr zur Wehrhaftigkeit zu erziehen. Dann sind solche Bestrebungen,
wie Sie in Ihrem Brief erstreben, nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich,
weil sie Streitlust und kriegerischen Geist in der Jugend wecken, Eigenschaften, die den Frieden
der Staaten gefährden, Die Männer wie Erzberger u.a., die künftig als Reichskanzler die
Geschicke des friedlichen deutschen Volks lenken, werden mit aller Macht Ihren Bestrebungen
entgegentreten und Ihr Buch verbieten und unterdrücken. Geben Sie Acht, daß Sie nicht
selbst als staatsgefährlich, als Verdreher der friedsamen Jugend, als Aufwiegler u. Feind des
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