2009•012 - T E X T:
Schluss des ersten Vortragsteils traf:
"Nach dem furchtbarsten Ereignis des 20. Jahrhundert wissen wir, wohin man gelangt, wenn man Nietzsches Philosophie in die Tat umsetzt. Wo der Mensch auf den Willen zur Macht reduziert wird, ist alles erlaubt, was der Durchsetzung des Stärkeren und der Züchtung des Übermenschen dient. Trotzdem greift viel zu kurz, wer die an Platon, Aristoteles und Thomas orientierte Tugendlehre Josef Piepers als bloße Reaktion eines christlichen Denkers auf den Nietzscheanismus der nationalsozialistischen Ideologie versteht."
Den zweiten Teil seiner Darstellungen überschreibt Prof. Menke "Kritische Theorie" oder: Ausschaltung der instrumentellen Vernunft" und leitet ihn folgendermaßen ein: "Die auch für unsere Gegenwart kaum überschätzbare Bedeutung von Piepers Denken erfasst man erst durch einen Vergleich seines Werkes mit dem der so genannten Frankfurter Schule. Denn diese verfolgt ein ähnliches Ziel wie er; allerdings auf völlig unterschiedliche Weise." Zunächst befasst sich Prof. Menke mit den Argumentationen Theodor W. Adornos in dessen Auseinandersetzung mit dem Denken Nietzsches und dessen Auswirkungen in den Greueln der Shoah. Dann wendet er sich der vor allem von Jürgen Habermas empfohlene kommunikativen Vernunft zu. .." Denn wirkliche Kommunikation setzt immer schon voraus, dass das kommunizierende Subjekt jedes andere kommunizierende Subjekt als gleichberechtigt anerkennt und auf jedes Mittel der Unterwerfung des anderen verzichtet. .. Das Ideal gewaltfreier Kommunikation ist der Konsens aller an der Kommunikation beteiligten Subjekte."
Der umfangreiche dritte Teil der "Vorlesung" von Prof. Dr. Karl-Heinz Menke, "Josef Piepers Tugendlehre oder: Heilung der instrumentellen Vernunft" überschrieben, wird von einer ordnenden und einordnenden Überschau eingeleitet; sie ist daher hier ungekürzt wiedergegeben. Prof. Menke schreibt:
"Die Begegnung zwischen Jürgen Habermas und dem Kardinalpräfekten Josef Ratzinger ein Jahr vor dessen Erwählung zum Papst war kein Zufall. Denn Ratzinger begegnet dem Pathos der Aufklärung mit ihren Lobgesängen auf die Autonomie der Vernunft ähnlich kritisch wie Habermas. Auch er sieht einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang zwischen der Apotheose des sich autonom wähnenden Ich und der Shoah. Und doch - mit Berufung auf Josef Pieper - tritt er zugleich in Widerspruch zu Habermas. Er widerspricht der illusionären These, die Einbindung des Einzelnen in eine stets und überall ergebnisoffen kommunizierende Gesellschaft könne eine Wiederholung des Schrecklichen verhindern oder gar dafür sorgen, dass der Mensch ,richtig' wird. Das Ich-Sagen des Ich ist - so betont Pieper - keineswegs identisch mit dem, was Nietzsche den Willen zur Macht nennt. Im Gegenteil: Wo ein Geschöpf Ich sagen kann, da ist es fähig, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu werden. Und wer sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst ist, der muss, ob er will oder nicht, das Gegenteil des Endlichen zumindest denken. Anders gesagt: Der Mensch, das einzige Geschöpf, das ,Ich' sagen kann, ist immer schon verwiesen auf das allem Endlichen gegenüber ganz Andere, auf das , Un-endliche', auf das Absolute - platonisch formuliert: auf die Idee des Guten, christlich formuliert: auf den biblisch bezeugten Gott.
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