2013•120 - T E X T:
Lied. Diese Absage an den Lehrer steht
in der Tradition der Rotgardisten (1966-
1976) und der Roten Khmer (1975-1979
bzw. 1991). Bekanntlich galten Dozenten
den Kulturrevolutionären als stinkende
Nr. Neun. Mao Zedong hatte die Theorie
vom Volk als einem leeren Blatt ausgegeben
und für Pol Pot galt nur derjenige,
der ungebildet ist, als formbar.
Das Unglück ist uns bekannt. Verantwortlich
fühlt sich niemand. Die Folgen sind
weiter spürbar.
Zu den damals kritisierten gehörte auch
Konfuzius.
Als Studierenden der chinesischen Sprache
an dem damaligen Fremdspracheninstitut
von Peking oblag es uns selbstverständlich
1975 auch in öffentlichen
Kritikveranstaltungen „Lin Biao und Konfuzius
zu kritisieren“ (Pi Lin pi Kong). Der
Nachfolger von Mao Zedong, Lin Biao,
dürfte heute den meisten nicht einmal
mehr namentlich bekannt sein, Konfuzius
dagegen hat eine Renaissance erlebt.
Auch in deutschen Landen, wo ich ihn zunächst
verachten gelernt habe, regen sich
seit einigen Jahren die Stimmen, die ihm
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Seine
ihm zugeschriebenen Gespräche (Lunyu)
stellen eine schwierige Lektüre dar. Zu
vieles ist mehrdeutig bzw. dunkel, manches
erscheint dem uneingewiesenen Leser
gar als banal.
Nur der erfahrene Interpret wird dort
Tiefe erkennen, wo der unerfahrene sich
gelangweilt abwendet. „San ren xing“
(drei unterwegs) ist heute ein geflügeltes
Wort, jedoch sind, wenn drei unterwegs
sind, nicht drei, sondern viele unterwegs.
Auch die Lexika leiten uns da inzwischen
irre.3 „San“ bedeutet zwar zunächst drei,
da aber alle Erscheinungen der Welt sich
aus der Interaktion von Yin und Yang unter
dem Einfluß des Odems (qi) herausbilden,
macht das Dritte, das von Yin und
Yang Erzeugte, attes Seiende aus. Drei ist
damit vieles und steht für die zehntausend
Erscheinungen (wanwu), die mit
dieser Zahl ins Werk gesetzt sind. Wir
dürfen hier eine kosmologische Redeform
vermuten.
„San ren xing“ geht auf Konfuzius (551-
479) zurück, der in seinen Gesprächen
(Lunyu VII.22) nach diesen drei Zeichen
wie folgt fortfahrt: „bi you wo shi yän“
(da muß es unter ihnen meinen Lehrer
geben).
Wir können die gesamte Aussage
so wiedergeben: „Wo immer ich mit
mehreren unterwegs bin, wird einer von
ihnen mein Lehrer sein.“ Dies ist eine erstaunliche
Aussage. Warum hat der „Lehrer
aller Generationen“ (wanshi shibiao)
selber einen Lehrer nötig? Warum selbst
unter jenen, mit denen er vielleicht gar
zufällig unterwegs ist? Menschen also,
von denen wir heute kaum mehr Kunde
haben dürften. Hat nicht er, der von sich
bescheiden sagte, „nur zu überliefern,
aber nichts [Neues] zu schaffen“ (shu er
bu zuo), sich immer auf die Heroen der
Urzeit Yao, Shun und Yu berufen? Reichten
ihm, den die Nachwelt als „Heiligen“
(shengren) bezeichnet hat, diese drei
3Vgl. Das neue Chinesisch-deutsche Wörterbuch. Peking: Shangwu yinshuguan 1985, S. 695.
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