2013•125 - T E X T:
das Ziel von Konfuzius, dies war wohl die
Hoffnung der Taoisten. Der Meister sah
möglicherweise die Gefahr, die einem bewußtlosen
Zustand zu eigen sein mochte.
Ganz in diesem Sinne führt der Dreizeichenklassiker
(5 und 6) mit der Mahnung
fort:
Ohne Erziehung geht die Natur (des Menschen)
in die Irre.
D.h., was einst die Nähe der Menschen
ausmachte, wird ohne Bildung zu einer
schlechten Nähe. Eine Aufzucht ohne
Lehre (Sanzijing 17 und 18) ist daher
ein Fehler, konkret der Fehler des Vaters.
Dessen obligatorische Strenge wird
ebenso wie die des Lehrers positiv begriffen,
denn (Sanzijing 19 und 20):
Eine Erziehung ohne Strenge ist der Faulheit
des Lehrers geschuldet.
Ein fleißiger Lehrer ist also streng, und
ein Lehrer, der ob seiner Milde vielleicht
bei den Schülern als beliebt gilt, ist nach
dieser Ansicht nur bequehm.
Warum hat sich ein Lehrer unbeliebt zu
machen? Weil sein strenger Unterricht
zur Menschwerdung beizutragen hat
(Sanzijing 335 und 336). Ohne Studium
gereicht nämlich ein menschliches Lebewesen
nicht einmal an das Tier heran
(Sanzijing 339 und 340).
Ein Studium, das die einstige unschuldige
Nähe der Menschen aufhebt und Unterschiede
unter ihnen schafft, ist jedoch
keinesfalls als elitär zu veranschlagen.
Vielmehr herrscht eine neue Gleichheit.
Es ist nicht mehr die schlechte Gleichheit
aller unmittelbar nach der Geburt, sondern
es ist die anspruchsvolle Gleichheit
aller Erzogenen im Angesicht der Tugenden
und Pflichten (Sanzijing 97-106).
Nun mag dies sehr abgehoben klingen
und nur einer abstrakten Gleichheit das
Wort reden. Wir sind es gewohnt gesagt
zu bekommen, daß es nur eine Gleichheit
vor dem Gesetz gibt, und daß in dieser
Hinsicht China keine Gleichheit kennt.
Das mag zwar aus hiesiger Sicht so stimmen,
dennoch besagt dies nicht, daß es
den Gedanken der Gleichheit nicht gibt.
Es gibt ihn schon, er ist jedoch anders definiert.
Gut tausend Jahre später hat der konfuzianisch
eingestellte Literat Han YU (768-
824) die oben vorgetragenen Gedanken
des Konfuzius aufgenommen und 802 in
seinem bekannten Essay „Über den Lehrer“
(Shi shou)5 fortgesponnen. Die Fülle
seiner Reflexionen‘! ist so gewaltig, daß
hier nur zu unserer Fragestellung das
eine oder andere hervorgehoben sein
mag. Han Yu nimmt für seine Zeit, die den
Lehrer mißachtete und nur als Erzieher
des Nachwuchses akzeptierte, eine Verschiebung
vor, es geht ihm nicht um „den
Lehrer für unwissende Kinder“ (tongzi
zhi shi), sondern um den Lehrer für die
Oberschicht (shiren zhi shi), um den Lehrer
für den Adel, der mit dem Gelehrtenschaft
identisch sein kann, aber nicht sein
muß. Was ist sein Problem? Er beklagt,
daß in seiner Zeit nur noch die Stände
5Zur Gesamtübersetzung, Deutung und zu den Quellen s. meine Geschichte des chinesischen Essays, in:
Marion Eggert u.a.: Die klassische chinesische Prosa. München: Saur 2004, S. 27-30.
|
|