2017•127 - T E X T:
steht. Die kritische Auseinandersetzung
sowohl mit der – auch eigenen
– Geschichte als auch die Reflexion über
das eigene Tun zeigen das Bestreben eines
verantwortlichen Umgangs mit den
gesellschaftlichen Werten und den daraus
erwachsenden Möglichkeiten für die
Ausbildung eines eigenen Selbstwertgefühls.
Das ließe sich an vielen Beispielen
aus der Schulwirklichkeit – von Referaten,
Ausstellungen oder Arbeitskreisen
bis hin zu den Rückmeldungen Ehemaliger
– belegen. Dies ist auch immer ein
kontinuierlicher Prozess, der ein ständiges
Sich Kümmern bei allen an der Schule
beteiligten Gruppen (Lehrer, Eltern Schüler)
voraussetzt.
Frage:
Herwig Blankertz, der verstorbene Professor
der Pädagogik aus Münster, kritisiert
die Humboldtsche Bildungsreform
als „formal und darum extrem unhistorisch“.
Auch Wolfgang Klafki unterstellt
dieser preußischen Reform einen „ungeschichtlichen,
mithin wirklichkeitsfremden
Ansatz.“ Wie fern oder nah ist der
heutige, aktuelle Bildungsbegriff unserer
Wirklichkeit?
Antwort:
Meer - Ob Blankertz und Klafki der heutigen
Kompetenz- und Outputorientierung
im Sinne von Bildung Applaus zollen
würden, bezweifele ich. Humboldt liefert
zumindest mit der humanistischen Bildung
ein Ideal, welches ein formales Ziel
jenseits tagesaktueller, wirtschaftlicher
Erwägungen bietet. Ich sehe nicht, dass
man gebildet ist, wenn man Kompetenzen
erworben hat: Bildung ist das Wissen,
dass man sich täglich neu um den
Mitmenschen, um die gemeinsame Sache
bemühen muss. Die Würde des Anderen
kann ich nur respektieren, wenn ich
seine Ganzheit akzeptiere, täglich veraltendes
Fachwissen ist dafür keine Basis!
Deshalb darf sich Schule auch nicht in
der Vermittlung von fachlichen Kompetenzen
erschöpfen, vieles lernen junge
Menschen nachhaltiger z. B. im gemeinsamen
Musizieren in einer instrumentalpraktischen
Klasse, beim z. B. durch
LionsQuest11 begleiteten Erwachsenwerden,
bei der Ausbildung als Klassenpate/
in oder als Schülermultiplikator/in.
Genauso gehört die Ermutigung dazu,
ein Auslandsjahr zu machen oder am
Schüleraustausch teilzunehmen. Auch
Kirche oder Sportverein und vor allem
die Familie dürfen nicht vergessen werden.
Schule ist vielleicht der Ort, in dem
die fachliche Bildung überwiegt, doch
sie darf nicht vergessen, an die soziale
Bildung durch die anderen gesellschaftlichen
Bildungspartner anzuknüpfen. Dies
geht nur gemeinsam, es gibt da nicht einen
Koch und viele Gehilfen, die Köche
müssen sich absprechen; dies kostet Zeit,
Kraft, ist aber für eine menschenwürdige
Welt unabdingbar.
Juling - In der heutigen Bildungsdiskussion
sehe ich eine starke Diskrepanz zwischen
Anspruch und Wirklichkeit. Die
11Lions-Quest ist eine Kooperation zwischen
Lions Clubs International und
Quest International, deren Ziel es ist,
Kindern durch die Förderung sozialer
Kompetenzen beim Erwachsen-Werden
zu unterstützen (I.W.).
12José Ortega y Gasset (1883-1955) war
ein spanischer Philosoph, Soziologe und
Essayist. Der zitierte Leitsatz „Werde, der
du bist!“ ist an Pindars heroischer Ethik
angelehnt (I.W.).
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