2009•014 - T E X T:
wiederum in vollem Wortlaut zitiert werden, zumal Prof. Menke seinerseits hier Josef Pieper zu Wort kommen lässt.
"In einer bemerkenswerten Abhandlung des Jahres 1936 mit dem Titel 'Über das christliche Menschenbild' zeigt Pieper, dass Thomas von Aquin die modem anmutende Frage nach dem, was den Christen zum Christen macht, mit folgenden sieben Thesen seiner Tugendlehre beantwortet: 'Erstens: Der Christ ist ein Mensch, der - im Glauben - der Wirklichkeit des drei einigen Gottes inne wird. Zweitens: der Christ spannt sich - in der Hoffnung - auf die endgültige Erfüllung seines Wesens im Ewigen Leben. Drittens: Der Christ richtet sich - in der göttlichen Tugend der Liebe - mit einer alle natürliche Liebeskraft übersteigende Bejahung auf Gott und den Mitmenschen. Viertens: Der Christ ist klug, das heißt, er läßt sich den Blick für die Wirklichkeit nicht trüben durch das Ja oder Nein des Willens, sondern er macht das Ja oder Nein des Willens abhängig von der Wahrheit der wirklichen Dinge. Fünftens: der Christ ist gerecht, das heißt, er vermag in Wahrheit mit den anderen zu leben, er weiß sich als Glied unter Gliedern in der Kirche, im Volk und in der Gemeinschaft. Sechstens: der Christ ist tapfer, der heißt, er ist bereit, für die Wahrheit und für die Verwirklichung der Gerechtigkeit Verwundungen und, wenn es sein muss, den Tod hinzunehmen. Siebtens: der Christ hält Maß, das heißt, er lässt es nicht zu, dass sein Habenwollen und sein Genießenwollen zerstörerisch und wesenswidrig wird.'
Entscheidend an dieser Wesensbestimmung ist die Überzeugung, dass der christliche Glaube das, was wesentlich zum Menschengehört, nicht in eine neue Sphäre hebt oder additiv ergänzt. Die Verankerung der Kardinaltugenden in den Gaben des Glaubens, Hoffens und Liebens verändert das Wesen von Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß in keiner Weise. Diese Verankerung motiviert und erleichtert die Aneignung der Tugenden. Denn es geht ja um die Fähigkeit, die Wirklichkeit das sein zu lassen, was sie von Gott her ist. Mit Moralismus hat die thomanische Tugendlehre nicht das Geringste gemeinsam. Denn der Moralismus so bemerkt Pieper, 'sagt: das Gute ist das Gesollte, weil es gesollt ist. Die Lehre von der Klugheit sagt:
Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße; es ist gesollt, weil es so der Wirklichkeit ent spricht.'
Pieper ist überzeugt; und ich darf das hier in 'meinem' Gymnasium in seinem Namen sagen:
Wenn Lehrer ihre Schüler das Staunen lehren und die Ehrfurcht vor der unauslotbaren Tiefe des Seins, dann sind sie weit mehr als die durchaus notwendigen Vermittler von Fertigkeiten, Methoden und anwendbarem Wissen.
Das Ideal der gebildeten Persönlichkeit ist ein Mensch, der Fragen stellt, die niemand endgültig und definitiv beantworten kann; ein Mensch, der die Antworten seiner Lehrer solange befragt, bis sie seiner eigenen Einsicht entsprechen; ein Mensch, der Oberflächliches nicht erträgt und sich - zumindest hier und da - so in das Suchen verlieren kann, dass ihn andere einen Grübler nennen.
Kurzum: Das Ideal einer gebildeten Persönlichkeit ist ein Mensch, der seine Begriffe nie mit der Wirklichkeit verwechselt und die Andersheit des Anderen auch da aushält, wo sie den eigenen Interessen und Vorteilen entgegensteht oder den Preis persönlicher Nachteile und Verwundungen fordert.
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