2010•033 - T E X T:
Abiturrede des Schulleiters Oberstudiendirektor
Herbert Huesmann
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
auch wenn Ihr es vielleicht schon nicht
mehr hören könnt: Ihr, die Abiturientia
2009, seid, ähnlich wie die Abiturientien
des Wendejahres 1990 oder des Millenniumsjahrgangs
2000 ein historischer
Jahrgang. Nicht nur, weil wir in diesem
Jahr unser 350-jähriges Schuljubiläum
feiern. Nein, es gibt noch mindestens zwei
andere Gründe. Im Januar dieses Jahres
wurde zum ersten Mal ein Farbiger, ein
Afro-Amerikaner, Präsident der Vereinigten
Staaten von Amerika. Und seit dem
Herbst des Jahres 2008 erlebt die Welt
die wohl größte internationale Finanzkrise
der letzten 100 Jahre. Was das alles
mit Eurer Schule und Eurem Abitur zu
tun hat, fragt Ihr mit Recht. Nun, wartet
mal ab, ich habe daraus ein kleines (rhetorisches)
Sträußchen gebunden, das ich
Euch zum Abschied überreichen möchte.
Mit Barack Obama hat ganz offensichtlich
nach 8 quälend langen Jahren der
Bush-Administration jemand die Bühne
der Politik betreten, der nicht nur in
vielen politikverdrossenen Amerikanern
wieder Interesse für Politik geweckt,
sondern in der ganzen Welt Hoffnungen
neu belebt hat. Erwartungen wie an
einen Messias, gewiss, in ihrer Totalität
zugleich wohl auch nicht immer ganz
frei von Illusionen. Doch zu belastend ist
das Erbe des Kriegs im Irak, zu beängstigend
die explosive Lage im Nahen Osten,
zu beschämend die Erinnerung an Abu
Ghreib und der Anblick von Guantanamo,
zu bedrohlich die schleppende Entwicklung
im Hinblick auf den Internationalen
Klimaschutz, als dass man nach dem
Amtswechsel in der Pennsylvania Avenue
einfach zur Tagesordnung übergehen
möchte. So ist es nur allzu verständlich,
dass sich die Hoffnungen vieler Menschen
auf der ganzen Welt auf einen jungen
Politiker projizieren, der mit seiner
charismatischen Ausstrahlung die Köpfe
und Herzen seiner Zuhörer erobert.
Natürlich kann man nach noch nicht einmal
einem halben Jahr seiner Amtszeit
nicht beurteilen, ob er den test of time
bestehen, also die Hoffnungen seines
Landes – und der ganzen Welt – erfüllen
wird. Gleichwohl gab es bereits während
des sich über 2 Jahre hinziehenden Wahlkampfes
das eine oder andere Indiz, das
hoffnungsvoll stimmt. So hat Obama verschiedene
Male bewiesen, dass er eigene
Schwächen und Versäumnisse nicht zu
vertuschen sucht, sondern offen eingesteht.
„Von allen Bereichen meines Lebens
zweifle ich am meisten an meinen
Fähigkeiten als Ehemann und Vater“, gesteht
er in seinem Buch The Audacitiy of
Hope und verzichtet damit ganz bewusst
auf die insbesondere für Politiker in den
USA so wichtige Fassade eines allzeit intakten
Familienlebens, indem er gesteht,
dass sein Politikerleben zu einer ernsten
häuslichen Krise führte. Und als am Ende
des Wahlkampfes bekannt wurde, dass
die minderjährige Tochter der recht bigotten,
fundamentalistisch-frömmelnden
republikanischen Kandidatin für das Amt
der Vizepräsidentin Sarah Palin schwanger
sei, bediente er nicht die Erwartung
so mancher Parteifreunde, die einen derbwitzigen
oder hämischen Kommentar
von ihm erwarteten, sondern erinnerte
schlicht daran, dass seine Mutter ihn mit
gerade einmal 18 Jahren bekommen habe.
In solchen Situationen zeichnete sich in
der Tat ein neuer Politikstil ab: Nicht soziale
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