2011•034 - T E X T:
vielmehr schlechter. Ihre geistigen Leistungen werden in einigen Bereichen fehlerhafter.
Wahrscheinlich werdet Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, einwenden, dass es doch keiner wissenschaftlichen Studie bedurft hätte, um eine solche Diagnose zu erstellen. Die schleichende Gefahr dauernder Unkonzentriertheit, die Angst vor Kontrollverlust oder, im schlimmsten Fall, die totale Abhängigkeit vom Surfen im Netz, all diese Gefahren über- bzw. unmäßigen Computerkonsums seien doch hinlänglich bekannt. Doch nicht das Internet an sich sei die Gefahr, sondern der kritiklose Umgang damit. Einverstanden! Wer wollte leugnen, dass der Computer vieles schneller und zumal zuverlässiger erledigt als der Mensch?
Wer wollte auf die Informationsüberflutung reagieren, indem er seinen Computer abschaffte! Wir müssten nicht nur auf den zu jeder Zeit und praktisch an jedem Ort möglichen Zugang zu Informationen aller Art verzichten, wir würden uns auch sozial völlig isolieren. Gleichwohl droht, wie Bernd Guggenberger in seiner Studie Das digitale Nirwana bereits 1997 warnte, die Freude über das „Alles-und-Jederzeit“ immer wieder zur Schwärmerei zu mutieren, wenn aus der Menge an Informationen eine Un-Menge wird, wenn wir nicht mehr über das nötige strukturierende Wissen und die Urteilsfähigkeit verfügen, um Wißbares von Wissenswertem zu unterscheiden. „Man muss Hypothesen und Theorien haben, um seine Kenntnisse zu organisieren, sonst bleibt alles bloßer Schutt.“ Diese Beobachtung des Physikers und Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg aus dem 18. Jh. ist von geradezu verblüffender Aktualität.
Doch was können, was müssen wir tun, damit unser Denken und Handeln nicht im „Schutt“ der Daten erstickt? Sicherlich können wir dankbar und erleichtert feststellen, dass uns mit dem Internet ein gigantischer Informationsspeicher zur Verfügung steht und Google uns einen leichten und unbegrenzten Zugang zu Informationen jedweder Art verschafft. Nicht zu bestreiten ist zudem, dass dabei auch unser Gehirn umprogrammiert und zusätzliche Hirnregionen aktiviert werden. Doch Experten vergleichen diese Wirkung annäherungsweise mit jener Leistung, die wir beim Lösen eines Kreuzworträtsels erbringen. Ungleich komplexer hingegen sind jene Prozesse, die sich beim Lesen eines Buches ereignen. Das Gehirn wächst dabei, so Schirrmacher, gewissermaßen über sich selbst hinaus, indem es durch die linear langsam fortschreitende Lektüre angeregt wird, zahlreiche Vermutungen und Hypothesen aufzustellen. Die dabei immer wieder entstehenden Verzögerungen wirken nicht hemmend, vielmehr setzen sie neue Gedanken frei und stiften gedankliche Vernetzungen. All diese Vorzüge, so mag man an dieser Stelle einwenden, mag man aber inzwischen ebenso gut durch die Nutzung eines Kindle, eines Ebook, also des Computers als Medium erlangen. Doch Vorsicht! Ist nicht zumindest die Intensität des Lesegenusses auch vom Medium abhängig? Ist das Lesen eines kunstvoll eingebundenen Buch zunächst nicht immer auch ein aesthetisches und haptisches Vergnügen? Bündelt das – eingebundene – Buch nicht auch, wie Nicholas Carr vor einigen Monaten in einem Beitrag für die FAZ anmerkte, in besonderer Weise unsere Aufmerksamkeit, während die Wörter auf dem Bildschirm „in einem Durcheinander konkurrierender Reize“ mühsam
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