2019•034 - T E X T:
Innovationsschub bestand und was wir
wirklich geändert hatten. Wir hatten lange
debattiert, ob wir noch Farben tragen sollten
und es wurde dann jedem freigestellt,
eine entsprechende Abi-Kappe zu tragen
oder auch nicht zu tragen. Und wir hatten –
damals ein revolutionärer, allerdings auch
einmaliger Akt – den Eselszug gestrichen
– und zwar nicht aus Tierschutzgründen,
sondern als bewussten Traditionsbruch:
1968 – so nah und doch so fern! Die Grußworte
sind – wie man sieht – geblieben und
auch der Eselszug, an dem Sie ja zumindest
symbolisch noch festgehalten haben, hat
dann doch überlebt. Und ich denke, das ist
auch gut so.
Bei meiner Suche nach Erinnerungsstücken
habe ich dann auch noch das Manuskript
meiner damaligen Abi-Rede wiedergefunden.
Ausgangspunkt meiner Rede war
eine Erzählung des Schriftstellers Reinhold
Schneider, in den 30er und 40er Jahren
Mitglied des christlich-konservativen Widerstands
gegen das Nazi-Regime. Aber
Reinhold Schneider 1969? – als mit Karl
Marx’ Kapital und Mao Tse-Tung’s gesammelten
Worte im Kleinen Roten Buch, der
sogenannten Mao-Bibel, mit den Schriften
Theodor Adornos, Max Horkheimers, Alexander
Mitscherlich u.a. ganz andere Autoren
die Bestsellerlisten anführten: 1968
– so nah und doch so fern!
Die Erzählung, die ich ins Zentrum meiner
damaligen Rede stellte, entstammte
Schneiders Essay-Sammlung „Macht und
Gnade“, die Schneider 1941 endgültig ein
Schreibverbot durch die Nazis einbrachte.
Es sei mir erlaubt, die kurze Erzählung hier
noch einmal zu zitieren:
„Ein Schüler des Konfuzius beobachtet auf
einer Wanderung einen alten Mann, der
sich die Arbeit in seinem Gemüsegarten
sehr sauer werden lässt. Der Alte steigt um
eines jeden Eimers Wasser willen in seinen
Brunnen hinab, trägt den gefüllten Eimer
in den Armen herauf, gießt ihn in den Bewässerungsgraben
aus und steigt dann
wieder hinab, um zu schöpfen; so bringt
er bei aller Mühe nur wenig zustande. Als
ihn aber nun der Philosoph fragt, warum er
nicht einen hölzernen Hebel aufstelle, um
mit dessen Hilfe mit viel geringerer Mühe
eine viel größere Menge Wasser heraufzupumpen,
steigt dem Alten der Ärger ins
Gesicht und er sagt: „Ich habe meinen Lehrer
sagen hören: Wenn einer Maschinen
bemüht, so betreibe er alle seine Geschäfte
maschinenmäßig; wer seine Geschäfte
maschinenmäßig betreibt, der bekommt
ein Maschinenherz. Wenn aber einer ein
Maschinenherz in der Brust hat, dann geht
ihm die reine Einfalt verloren. Bei wem die
reine Einfalt dahin ist, der wird ungewiss
in den Regungen des Geistes“, das heißt, ein
solcher Mensch kann nicht den Sinn erfassen,
das Tao wie der Chinese sagt, das unausdrückbare
Eine hinter allen Dingen und
allem Denken, und er kann nicht in Übereinstimmung
mit ihm leben.“
Der doch eher betuliche und moralisierende
Duktus mag uns heute fremd sein. Und
doch lässt sich mit dieser Erzählung ein Bogen
schlagen zwischen 1969 und 2019. Ich
konnte damals beim besten Willen nicht ahnen,
wie hochaktuell das Thema auch noch
50 Jahre später sein würde. Geht es doch im
Grunde um nichts Anderes als um das, was
wir heute unter dem Thema Mensch-Maschine-
Beziehungen diskutieren – und zwar
nicht nur unter technologischen, sondern
auch unter epistemischen und soziokulturellen
Aspekten. Allerdings hat die Problematik
heute ganz andere Dimensionen
angenommen. 1969 glaubte man noch mit
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