2015•035 - T E X T:
Schulbücher wurden nicht gestellt. Wir
mussten sie selber kaufen.
Wir gehörten noch zu den Kriegskindern.
Erinnerungen an den Krieg habe ich keine.
Unsere Gesellschaft trug jedoch noch die
Folgen dieser furchtbaren 12 Jahre:
Angst und Verzweiflung, Schuld und
Scham, Trauer und Leid, mit Sehnsucht
nach Frieden und Aufbruch.
10 Jahre später, 1964, hatte sich die wirtschaftliche
Situation deutlich verbessert.
Die Bundesrepublik feierte das Wirtschaftswunder
und übte Demokratie.
Die DDR trug Gänsefüßchen.
Auch in der Schule hatte sich vieles verändert.
Heute denke ich mit Hochachtung
und Dankbarkeit an etliche Lehrerinnen
und Lehrer zurück.
Herrmann Hesse spricht in seinem berühmten
Gedicht von Lebensstufen, die
wir heiter durchschreiten sollen.
Mein Eintritt in die Lebensstufe nach
dem Abitur begann holprig.
Ich brauchte wie weitere 9 Mitschüler
zwei Anläufe, um die Schwelle zu überschreiten.
Im Sommersemester begann ich dann mit
dem Studium der Zahnmedizin in Köln.
Der Zauber des Anfangs verflog jedoch
schnell, als ich nach zwei Monaten den
Einberufungsbescheid für 12 Monate
Wehrdienst erhielt.
Wir hatten damals schon einen Numerus
Clausus, der begehrte Studienplatz war weg.
Die Bundeswehr brauchte Ärzte, Zahnärzte
und Apotheker und hatte etwa 30 Studenten
aus dem 1. Semester gezogen in
der Hoffnung, dass wir nach dem Studium
in die Bundeswehr eintreten würden.
Wieder ein verlorenes Jahr für mich?
In der Rückschau hatte dieses Jahr einen
durchaus positiven Aspekt:
Nach einem Jahr der Fremdbestimmung
und Langeweile, in dem sich die Zeit
dehnte, war ich hoch motiviert zu lernen,
ich erhielt einen Studienplatz in Berlin
und es begannen spannende Jahre.
Warum erzähle ich ihnen dieses?
Rückschläge, ob eigenem Verschulden
oder widrigen Umständen geschuldet,
können durchaus positive Wendungen
nehmen.
Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
haben die Schule erfolgreich abgeschlossen,
das Abitur bestanden und
betreten eine neue Lebensstufe.
Mögen sie heiter Raum für Raum durchschreiten,
auch wenn nicht alle Blütenträume
reifen sollten.
Ich komme auf den Anfang meiner Rede
zurück: Uns, den Abiturienten von 1964
gehört die Vergangenheit, ihnen, den Abiturienten
von heute gehört die Zukunft.
Machen sie‘s gut.
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