2015•042 - T E X T:
Abiturrede des Schulleiters Oliver Meer
Wenn ich mich umsehe, so schaue ich in
glückliche Gesichter.
Es ist Ihr Festtag heute!
56 junge Frauen und 51 junge Männer
erhalten heute ihr Reifezeugnis und werden
mit viel Applaus und Anerkennung
ins „Leben“ entlassen.
Vor 100 Jahren wurden um Ostern die
Abiturienten entlassen. Es waren 23 junge
Männer! Das Dionysianum war damals
noch ein reines Jungengymnasium. Sicherlich
waren die Abiturienten ähnlich
freudig gestimmt, wie Sie es heute auch
sind: Voller Hoffnung auf die Zukunft.
So musste z.B. im Fach Deutsch ein Aufsatz
zum / Sprichwort „Rom ist nicht an
einem Tag erbaut worden“ bezogen auf
die Einigung Deutschlands / geschrieben
werden.
Vier Jahre später waren 14 dieser 23
hoffnungsfrohen Männer tot. Drei fielen
noch im Jahr 1914: Sie hießen Ignatz
Hoffschulte, Ferdinand Naaber und Walter
Welp.
Insgesamt starben 170 Dionysianer auf
den Schlachtfeldern Europas, 57 von ihnen
wechselten direkt von der Schul- auf
die Schlachtbank.
Von ganzen Herzen hoffe ich, dass Ihnen
und uns nicht solch eine Zukunft bestimmt
ist. Hier ist es jedoch falsch, von
„Vorbestimmung“ zu reden, nichts ist
zwangsläufig oder alternativlos. Dies gilt
auch für den 1. Weltkrieg.
Als handelnde Bürger sind wir für die
Gestaltung unseres Landes, unseres gemeinsamen
Europas verantwortlich,
Krieg darf nicht leichtfertig „die Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln“
sein, die Politik der Wirklichkeit darf nie
alternativlos angelegt werden. Der österreichische
Schriftsteller Robert Musil
schreibt hierzu: „Wenn es aber Wirklichkeitssinn
gibt, und niemand wird bezweifeln,
daß er seine Daseinsberechtigung
hat, dann muß es auch etwas geben, das
man Möglichkeitssinn nennen kann.“
Wer Möglichkeiten ausblendet, beraubt
sich selbst der Hoffung auf eine Zukunft
in Frieden und Wohlstand.
Für uns als Schule ist vor diesem Hintergrund
leitend, dass „Erziehung […] die
Hilfe zum Selbstwerden in Freiheit“ ist,
wie Karl Jaspers feststellt; deshalb haben
Ihre Eltern Sie vor acht Jahren hier angemeldet!
Kurt Tucholsky deutet dieses „Selbstwerden
in Freiheit“ aus: „Nichts ist schwerer
und nichts erfordert mehr Charakter, als
sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit
zu befinden und laut zu sagen: Nein.“
Dies steckt auch im Bild des „mündigen
Bürgers“.
Doch genug der Worte, genug des weiten
Rückblicks, denn Sie, liebe Abiturientinnen
und Abiturienten, stehen heute im
Mittelpunkt! Sie werden hier von uns
allen geehrt und wir möchten heute und
morgen mit Ihnen feiern!
Sie haben die Erprobungsstufe, die Mittelstufe
geschafft, mindestens zwei
Fremdsprachen gelernt, die Lernstandserhebung,
dann das Berufsfeldpraktikum
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