2015•075 - T E X T:
Wirkung, die bereits von der Ankündigung
des Besuchs eines Rezitators oder
gar einer szenischen Aufführung durch
ältere Kinder, Mitschülerinnen und Mitschüler
oder gar eine professionelle
Schauspielertruppe ausging? Wenn Atmosphärisches
jedoch so intensiv nachwirkt
und ein Leben lang im Gedächtnis
haften bleibt, liegt darin ein Hinweis
auf Wesentliches: Johan Huizinga hat in
seinem 1938 erschienenen Buch Homo
Ludens auf die kulturkonstituierende Bedeutung
hingewiesen, die das Spiel in der
Entwicklungsgeschichte des Menschen
gehabt hat. Der Mensch verwirklicht sich
weder ausschließlich als homo sapiens,
also als Denker und Analytiker, noch als
homo faber, als ein mit handwerklichem
Geschick zweck- und zielgerichtet auf ein
Ziel hinarbeitendes Wesen und ganz gewiss
auch nicht als ein um die Mehrung
seines materiellen Vorteils und Nutzens
bemühter homo oeconomicus, sondern
auch und gerade als ein sich dem zweckfreien
Spiel hingebender und eben dadurch
kreativ und innovativ agierender
homo ludens. Die spielerisch anmutende
Arbeitsweise von Pustekuchen – darüber
wird noch zu sprechen sein - reicht bis in
die Gründungsphase der Truppe zurück
und prägt bis auf den heutigen Tag jeden
Auftritt dieser Theatergruppe, die sich
völlig zu Recht nach jenem Stück benannt
hat, das am Anfang eines beeindruckenden,
insgesamt 19 Werke umfassenden
Repertoires steht.
Neben den hier nur ganz kurz skizzierten
anthropologischen Gründen für eine
angemessene Berücksichtigung des
Spielerischen in der individuellen, im
günstigen Fall ein Leben lang dauernden
Entwicklung eines Menschen gibt es – im
Hinblick auf die Literatur, insbesondere
das Drama - unmittelbar einleuchtende
ontologische Argumente für verschiedenste
Formen der spielerischen Auseinandersetzung.
Philosophisch gesehen
nämlich erklärt sich die „Seinsart des
Kunstwerks“, wie Hans-Georg Gadamer,
der führende Repräsentant der philosophischen
Hermeneutik in Deutschland, in
seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode
überzeugend erklärt, aus dem Spiel
und der Darstellung. „Das Kunstwerk“, so
Gadamer, „hat […] sein eigentliches Sein
darin, dass es zur Erfahrung wird, die den
Erfahrenden verwandelt.“2 Er geht davon
aus, „dass das Kunstwerk Spiel ist, d.h.
dass es sein eigentliches Sein nicht ablösbar
von seiner Darstellung hat […].“3 Dies
ist wirklich einfach zu verstehen, bedeutet
es doch nichts anderes, als dass ein
Kunstwerk nach Darstellung geradezu
verlangt, sich in seinem Da-Sein eigentlich
erst in ihr verwirklicht. Ein Lied will
gesungen, eine Sonate will gespielt, ein
Gedicht will vorgetragen werden. Was
all dies für die Arbeit von Pustekuchen
konkret bedeutet, möchte ich etwas später
erklären. Zunächst jedoch möchte ich
in meinem nun beginnenden Hauptteil
exemplarisch drei Charakteristika benennen,
die die Arbeit von Pustekuchen
maßgeblich geprägt haben.
Ad 1: Theater spielen heißt Bilder bauen
- mit diesem Satz eröffnet Ulrich Baggemann
seinen schon erwähnten Beitrag
zur Festschrift 2009. Wie Recht er doch
hat! Die Bedeutung von Bildern hat sich
uns allen im Erinnerungsjahr 2014 einmal
2 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode
– Grundzüge einer philosophischen
Hermeneutik, J.C.B. Mohr Tübingen 19906,
S. 108
3 Ebd. S. 127.
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