2015•078 - T E X T:
durch die Nationalsozialisten in Rheine
am 30. März 1933 und stellt dabei fest,
dass sie just an diesem Ort, in der Aula
des Dionysianums, unter dem Bild des
heiligen Ludgerus unter Mitwirkung des
Schulorchesters stattgefunden hat. Dem
Protokoll der Stadtverordnetensitzung
vom 30. März 1933 ist u.a. zu entnehmen,
dass die Versammlung unter dem Tagesordnungspunkt
4 einen an die Polizeibehörde
gerichteten Antrag verabschiedet,
die Straße am Gymnasium in Langemarckstraße
umzubenennen. Nachdem
zum Abschluss der Sitzung nach dem
Deutschlandlied auch das Horst-Wessel-
Lied intoniert wird, verlässt die von
Studienrat Dr. Tinnefeld geleitete Zentrumsfraktion
geschlossen die Aula. Einige
Wochen später legen drei Zentrumsmitglieder,
unter ihnen Dr. Tinnefeld, ihr
Mandat nieder und signalisieren damit,
dass sie jegliche Zusammenarbeit mit
den Nationalsozialisten ablehnen.
Auch wenn ich es misslich finde, einzelne
Aufführungen ganz besonders hervorzuheben,
erlaube ich mir doch eine
Ausnahme. Über Pustekuchens 1988
einsetzende Arbeit an Biermanns Drachentöterschau
in acht Akten mit Musik
habe ich bereits gesprochen. Nachzutragen
ist jedoch, dass diese Inszenierung
durch die 1989/90 unerwartet über das
deutsche Volk gekommene Wiedervereinigung
urplötzlich von brennender
Aktualität war und eine Aufführung in
der Noch-DDR geradezu geboten schien,
zumal zwei Ensemblemitglieder, Thomas
und Ulrike Grävinghoff, aus Halle an der
Saale stammten. Und es fügte sich, dass
Pustekuchen eingeladen wurde, die Parabel
vom Drachentöter an ihrer ehemaligen
Schule, die auch schon der Außenminister
der Wende, Hans-Dietrich
Genscher, besucht hatte, aufzuführen.
Dafür war nicht ein x-beliebiger, sondern
jener Tag vorgesehen, an dem die ehemalige
Kurt-Fischer-Schule – Kurt Fischer
war der erste Chef der Volkspolizei der
DDR – in einem Festakt in Johann-Gottfried-
Herder Schule umbenannt wurde.
Ulrich Baggemann berichtet, dass, „als
am Ende der Aufführung im Saal die Tiere
zur Revolution für die Bürger bliesen,
[es] die Zuschauer nicht mehr auf den
Sitzen hielt. Sie erlebten die Revolution
erneut, die erste siegreiche Revolution
auf deutschem Boden, und die anschließende
Revolution zeigte, dass diese Revolution
eigentlich noch lange nicht zu Ende
war“.5 In diesen Momenten – und man
gestatte mir ein einziges Mal eine vom
Kanzler der Wende, Helmut Kohl, des
Öfteren verwandte, pathetisch-bildhafte
Wendung – in diesen Momenten berührte
Pustekuchen fürwahr den Mantel der
Geschichte.
Als drittes Charakteristikum der Arbeit
von Pustekuchen sei die Arbeitsweise
der Gruppe hervorgehoben, die Ulrich
Baggemann als eine von der ersten Stunde
an von der ganzen Truppe mitgetragene
trial and error-Methode beschreibt.
Ich habe, Herr Baggemann, Ihren immensen
Einsatz, Ihre Begeisterung für
das Theater und Ihre Leidenschaft für
das Projekt Pustekuchen immer bewundert.
Größte Anerkennung verdient aber
auch, in welch souveräner Weise Sie die
Gesamtverantwortung, die Sie seit 2009
gemeinsam mit Frau Angermann tragen,
mit allen Mitwirkenden zu teilen verstehen
und welch grandiose Ergebnisse dabei
zustande kommen. Gewiss, ich habe
im Laufe der Jahre auch gelegentlich
den Einwand gehört, mit der Werktreue
5 Ulrich Baggemann, a.a.O., S. 264.
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